„”Kandierte Bergamotte in dunkler Schokolade” – Schokoladentrends im Gespräch“

 

Mit Genuss verbinden die allermeisten besondere Momente im Alltag. Für Dr. Eva Derndorfer ist Genuss eine Berufung. Die Wienerin bietet seit mehr als 20 Jahren Sensorik-Schulungen an und ist gefragter Profi, wenn es um die Wahrnehmung mit allen Sinnen geht. Als Ernährungswissenschaftlerin mit jahrelanger Berufserfahrung in der Lebensmittelindustrie und dem Hochschulsektor hat sie sich als Beraterin selbstständig gemacht. Sie unterrichtet an mehreren österreichischen Hochschulen und ist durch ihre langjährige Erfahrung im Bereich Lebensmittel die ideale Ansprechpartnerin.

Schokoinfo.de: Hallo Frau Dr. Derndorfer. Im letzten Interview sprachen wir viel über den Genuss von Schokolade. Heute möchten wir etwas mehr über Trends im Schokoladenmarkt von Ihnen hören. Aber erst einmal ganz allgemein gefragt: Was ist für Sie ein Lebensmittel-Trend und wie entsteht er?

Eva Derndorfer: Von einem Lebensmitteltrend spricht man, wenn der Konsum eines Lebensmittels stark zunimmt, und das nicht nur als kurzfristiger Hype, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg. So gibt es zum Beispiel den Trend zum Veganisieren von Produkten oder Speisen, d.h. der Abwandlung traditioneller Lebensmittel oder Gerichten auf vegane Art. Auslöser dieses Trends war es, für VeganerInnen und Menschen, die tierische Produkte reduzieren wollen, ein Angebot zu schaffen. En Passant wurde das ein Kreativmotor für neue Produktideen, die für alle interessant sein können. Auf Schokolade bezogen: vegane Hafer- oder Reisschokolade werden nicht nur von Veganerinnen und Veganern konsumiert, sondern auch andere Konsumenten greifen nach Lust und Laune darauf zurück.

Schokoinfo.de: Für wie wichtig halten Sie diese Trends? Sind sie nur eine kurze Flamme, die schnell wieder erlischt oder gibt es auch langfristige Trends, die den Lebensmittel- und Schokoladenmarkt in andere Richtungen lenken?

Eva Derndorfer: Ein Food Trend ist immer längerfristig ausgerichtet, oft spiegelt ein Trend einen Wertewandel. Die genannten veganisierten Produkte sind die Folge des Bedürfnisses nach weniger vom Tier und dem Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit, das ist tiefergreifender als ein saisonaler Hype. Analog ist ein Bedürfnis nach gesunden Produkten, die gut schmecken, vorhanden. „Gesunde Genussmittel“ galten früher als Widerspruch, hier hat vor einigen Jahren eine Trendwende eingesetzt. Eine daraus resultierende Entwicklung sind zum Beispiel Dattelschokoladen, wo die Süße nur aus der gemahlenen Trockenfrucht stammt. Hier geht es um Ersatz von Zucker, aber nicht durch einen anderen Zucker, sondern durch eine Frucht (die aber natürlich Fruchtzucker enthält). Dieser Ansatz wird bereits von einigen Herstellern aufgegriffen. Verkostet habe ich bereits mehrere davon, manche haben mich sensorisch wirklich überzeugt, manche sind im Mundgefühl noch optimierbar.

 

Ein Mann geniest ein Stück Schokolade

 

Schokoinfo.de: Wie wirkt sich Ihre innere Stimme auf den Genuss aus? Beeinflusst es Entscheidungen direkt oder indirekt?

Eva Derndorfer: Was meinen Sie konkret damit? Ein Lebensmittel kann mich an einem Tag regelrecht verzücken, an einem anderen Tag habe ich keine Lust darauf, obwohl ich die gleiche Person bin und das Produkt das gleiche Produkt. Natürlich beeinflusst das meine Konsum-Entscheidungen, egal ob ich zuhause bin oder unterwegs. Die Frage breiter betrachtet: Ich bin grundsätzlich eine bewusste Konsumentin.

Schokoinfo.de: Haben Sie selbst schon vegane Schokolade probiert? Wie schmeckt sie Ihnen und gibt es hier erwähnenswerte bzw. außergewöhnliche Trends?

Eva Derndorfer: Viele dunkle Schokoladen sind automatisch vegan, sie bekamen diese Label erst, als vegan ein Thema wurde. Als Liebhaberin dunkler puristischer Schokoladen sind vegane Schokoladen bei mir also die Regel und nicht die Ausnahme. Bei veganen „Milch“-Schokoladen etwa auf Haferbasis statt Milch ist das ein Austausch. Und deren Qualität hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Schließlich ist jedem klar: Wenn ein Produkt nicht schmeckt, kauft man es nicht, und bei Schokolade will niemand Kompromisse eingehen.

Schokoinfo.de: Neben veganen Produkten finden auch kakaofreie Schokoladen den Weg ins Regal. Und es gibt Produkte, die die Süße der Kakaofrucht verarbeiten. Wie ordnen Sie diese Entwicklungen ein?

Eva Derndorfer:  Ich finde diese Entwicklungen konzeptionell sehr spannend. Sie sind völlig neu, aber im Grunde genommen im Kontext anderer Lebensmitteltrends sogar naheliegend. Völlig kakaofreie Schokolade, also nicht nur ohne Kakaomasse, sondern auch ohne Kakaobutter, dafür mit geröstetem und fermentiertem Hafer ist hinsichtlich von Regionalitäts- und Nachhaltigkeitsdebatten ein interessanter Ansatz. Ich lebe in Wien, und habe kakaofreie Schokolade bislang selbst in Schokoladefachgeschäften nicht gefunden, daher auch noch nicht gekostet, ich bin aber gespannt darauf. Das zweite Beispiel, mit der Kakaofrucht zu süßen, passt zum nose-to-tail & leaf-to-root-Trend, also der Verwertung des ganzen Tieres bzw. der ganzen Pflanze, nicht nur von Edelteilen. Auch das ist also spannend. Ob diese Entwicklungen groß werden, hängt sicher auch davon ab, ob die Produkte sensorisch überzeugen.

Schokoinfo.de: Zum Teil werden einzelne Inhaltsstoffe substituiert. Haben Schokoladen mit z.B. Kokosblütenzucker einen Vorteil gegenüber solcher mit herkömmlichem Zucker?

Eva Derndorfer: Kokosblütenzucker ist eingekochter und auskristallisierter Nektar der Kokosblüte. Das klingt aufs Erste einmal für viele ansprechend: Blüte, Natur, da schwingen Emotionen mit in diesem Begriff. Rein chemisch und somit nüchtern betrachtet besteht Kokosblütenzucker aber zu mehr als 90 Prozent aus Sacharose – liegt also nicht weit vom Rübenzucker entfernt. Daneben gibt es in geringen Mengen ein paar andere Zuckerarten oder Mineralstoffe, deren Relevanz ist in diesen Mengen aber nicht nennenswert. Der glykämische Index des Kokosblütenzuckers liegt unter dem klassischen Rübenzucker. Aber auch das ist nur bedingt bedeutsam, denn der glykämische Index wird – wenn man Zucker nicht pur konsumiert – ohnehin von vielen anderen Zutaten in Schokolade oder Süßwaren beeinflusst. Und: während Zuckerrüben auf heimischen Felden wachsen, gedeihen Kokospalmen nicht bei uns. Der CO2-Abdruck ist also nicht unbedingt vorbildlich. Ein Unterschied zum Haushaltszucker besteht im karamelligen Geschmack, den der Herstellungsprozess bedingt.

Schokoinfo.de: Sehen Sie aus Ihrer Perspektive einen nachhaltigen Trend hin zur Umstellung der Ernährungsweise? Gibt es Trends, die nur bestimmte Gruppen der Gesellschaft abholen?

Eva Derndorfer: Zweimal Ja. Erstes ja: Heutige Kinder wachsen mit einem anderen Angebot auf als frühere Generationen. Und – der Klimawandel ist ja offensichtlich – mit einem anderen ökologischen Bewusstsein, das sieht man auch bei Fridays for future. Der Frühstückskakao war früher immer Milchkakao, heute kann er genauso gut auf Hafer- oder Sojadrink basieren, oder mal mit Milch und mal mit einem Pflanzendrink zubereitet werden, es ist ja nicht zwingend ein Entweder-oder. Diese Umstellung wird bleiben. Zweites ja: Einem Trend zu folgen muss man sich leisten können. Damit sind immer unterschiedliche Gesellschaftsschichten unterschiedlich stark betroffen. Wer finanziell gerade über die Runden kommt, kann keinen Gedanken daran verschwenden, ob die Schokolade vegan oder bio ist.

Ein juges Mädchen beißt genüßlich in eine Stück Schokolade

 

Schokoinfo.de: Welchen Einfluss haben zum Beispiel Verpackungen auf Trends, Kaufverhalten und vielleicht sogar den erlebten Geschmack?

Eva Derndorfer: Ein persönliches Beispiel zum Thema Verpackung: Ich habe meinen Eltern einige Verkostungspakete zu Weihnachten geschenkt. Darunter waren Weinschokoladen, die Füllungen mit Grünem Veltliner und Blauem Zweigelt (zwei österreichische autochtone Rebsorten) enthielten. Ich habe eine Karte dazu geschrieben, dass sie sich aussuchen können, ob das eine Schokolade- oder eine Weinverkostung ist. Das fanden sie witzig. Ich habe die Schokoladen verschenkt, ohne sie zu kennen, habe mich also von den Verpackungen zum Kauf verleiten lassen. Hätten meine Eltern herausgeschmeckt, dass es sich um Grüner Veltliner oder Zweigelt handelt, ohne Verpackung?

Verpackungen sind also immer wichtig. Optisch informieren sie über ein Produkt, und sie fallen im Regal auf. Gerade Schokoladeverpackungen sind extrem vielfältig, mal edel, mal stylish, poppig, künstlerisch, traditionell oder gar historisch – immer aber mit hohem Wiedererkennungswert – und beeinflussen damit natürlich Kaufentscheidungen. Bei Schokolade hat sich auch ein Trend zur Sichtbarmachung des Produktes durch die Verpackung hindurch entwickelt. Haptisch ist das Verpackungsmaterial spürbar, auch das kann mitspielen, ob man eine Schokolade kauft. Und natürlich schützen Verpackungen das Produkt. Der Nachhaltigkeitstrend ist auch bei Verpackungen ein Riesenthema geworden.

Schokoinfo.de: Wie erleben Sie das Thema Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Genuss?

Eva Derndorfer: Man könnte das unter „Genuss ohne Reue“ subsummieren. Nachhaltigkeit ist aber vielschichtig. Ich war überrascht, als ich kürzlich bei einem sehr hochwertigen österreichischen Schokoladen-Hersteller sah, dass er Bruchschokoladen-Kilopackungen anbietet. Toll im Sinne der Nachhaltigkeit, vielleicht auch eine Antwort auf die Inflationsrate und somit ein Angebot an Konsumierende. Vor einigen Jahren wäre das im Premiumsegment undenkbar gewesen.

Schokoinfo.de: Gibt es Trends, die sich nur in Deutschland/ dem deutschsprachigen Raum ausbreiten?

Eva Derndorfer: Regionalitätsbezüge bei Schokolade sind zumindest in Österreich groß. Kürbiskerne sind hier sehr verbreitet – und folglich auch schokolierte Kürbiskerne, Kürbisnougat, Kürbismarzipan. In Österreich stößt man neuerdings auch öfter auf Anlehnungen an die heimische Mehlspeisküche, also z.B. Pralinen, die Marillenknödel (Aprikosenknödel) oder Topfenknödel (Quarkknödel) heißen, aber auch Müsliriegel, die Bezug auf Apfelstrudel, Rosinenguglhupf etc. nehmen. Auch auf die Bergwelt wird gerne verwiesen: Fichtenwipfel, Bergwacholder, Zirbe und Almkräuter kommen auch in Schokoladen vor.

Schokoinfo.de: Welche Trends sehen Sie in der Zukunft für den Bereich Schokolade?

Eva Derndorfer: Schokoladen eröffnen allein durch die unterschiedlichen Zusätze unendliche Welten. Die genannten kakaofreien oder die kakaofruchtgesüßten Schokoladen erweitern das potenzielle Spektrum noch mehr. Ich traue mich aber nicht, hier Zukunftsprognosen zu machen.

Schokoinfo.de: Zu guter Letzt noch eine persönliche Frage: Hat sich Ihr Schokoladengeschmack seit unserem letzten Interview geändert? Ist es immer noch die dunkle Schokolade oder gibt es inzwischen Konkurrenz zu Ihrem Favoriten?

Eva Derndorfer: Dunkle Schokoladen und gute Marzipanschokoladen gehören nach wie vor zu den Favoriten. Aber ein Produkt, das ich kürzlich gekostet habe, hat mich wirklich hingerissen. Es war eine kandierte Bergamotte in dunkler Schokolade. Ich habe schon viele kandierte Zitrusfrüchte in Schokolade probiert, ich mag diese Kombination grundsätzlich gerne, aber dieses unglaublich intensive Aroma nach Bergamotte und nach Grapefruit, dazu diese süß -sauere -bittere Symbiose aus guter Schokolade und Frucht, die hat mich extrem beeindruckt. Die will ich wieder!

Schokoinfo.de: Vielen Dank für Ihren professionellen, aber auch persönlichen Einblick in das Thema Lebensmittel- und Schokoladentrends. Frau Dr. Derndorfer.

Ein Schokoladen-Weihnachtsmann
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