Der lange Weg zum zartschmelzenden Genuss
Die Geschichte der Schokolade, unseres heutigen zartschmelzenden Genusses, ist eine europäische und ist genauso spannend, wie die des Kakaos in Mittelamerika. Vom Rohkakao bis zur Tafel sind viele meisterlich kontrollierte Verarbeitungsschritte nötig, um die Geschmackssensation, den Schmelz und gleichzeitig den Biss zu erhalten; Eigenschaften, die wir an Schokolade so lieben.
In Europa hingegen musste die Schokolade erst ihre Form ändern, fest werden, um ihr feudales Image wieder abzulegen. Und es war ausgerechnet ein Protestant, der die Schokolade wieder zurück auf die Erfolgspur brachte, der Niederländer Coenraad van Houten. Van Houten presste 1828 erstmals dem Kakao das Fett und die Kakaobutter ab. Die moderne Ära der Schokoladenfertigung war geboren. Sein Sohn, Casparus Johannes, war dazu ein Werbegenie. Sein Spot über einen müden Angestellten, der nach dem Genuss eines Riegels Schokolade wundersam zu Leben erweckte, überzeugte die Verbraucher, dass Kakaoprodukte keinesfalls dem protestantischen Arbeitsethos widersprechen müssen.
Hinzu kam die Faszination des Bürgertums für die eroberten Kulturen der Welt: Alexander von Humboldt hatte Lateinamerika populär gemacht, Ernst von Weber Afrika. Völkerkundemuseen wurden überall in Europa zu Publikumsmagneten. Kakao und Schokolade wurden als exotische Importwaren attraktiv.
Industrialisierung und Erfindergeist halfen, das neue Produkt nicht nur für die Oberschicht, sondern für eine Vielzahl von Verbrauchern in größeren Mengen zugänglich zu machen. In Deutschland gründete 1806 die Halloren Schokoladenfabrik in Halle an der Saale, 1839 eröffnete Franz Stollwerck in Köln. Leonard Monheim ließ 1857 in Aachen die erste Tafelschokolade herstellen und über die privilegierte Adler-Apotheke vertreiben. In der Schweiz erfindet Daniel Peter 1875 die Milchschokolade und Rudolphe Lindt 1879 das Conchieren, was Textur und Geschmack weiter verbesserte. U. a. Suchard, Sprüngli, Cadbury, Rowntree’s und Hersheys, all diese geschätzten Unternehmen und Marken brachte das 19. Jahrhundert hervor.
Schokolade herstellen – ein Meisterwerk
Der Weg von der Kakaobohne bis zur fertigen Schokolade mag sich seit den Gründerjahren verfeinert und technologisiert haben, im Grunde ist der Prozess aber derselbe, ziemlich aufwendig geblieben. In Deutschland ist Schokoladenherstellung etwas für Meister, erlernbar zum Beispiel in der Zentralfachschule der Deutschen Süßwarenwirtschaft in Solingen. Dort werden die Süßwarentechnologe/in für die Industrie ausgebildet.
Das röstfrische Kakaoaroma
Am Anfang steht das Rösten. Während heute noch zum Beispiel die Familie Salazar Garcia in Costa Rica in einer großen Pfanne auf Holzfeuer und unter ständigem Rühren mit großem Holzlöffel bis zum popkornmäßigen Knacken der Bohnen „röstet“, erledigen dies in der deutschen Schokoladenindustrie Röstmaschinen bei zwischen 130 und 150 Grad heißer Luft. Unter dem wachsamen Auge des Röstmeisters entwickelt sich das typische Kakaoaroma, die Bohnen sind danach dunkelbraun, die Schalen lockern sich wie bei den Salazar Garcias. Nachdem die Bohnen abgekühlt sind, werden die Schalen entfernt. Jorge und Mariana Salazar Garcia schälen aufwendig von Hand. In der Industrie werden die Bohnen in Brechanlagen zertrümmert; ein kräftiger Luftstrom bläst dann die leichteren Schalen weg. Übrig bleibt der sogenannte Kakaokernbruch.
Den Kakao auf den Kern mahlen
Nun wird es laut. Der Kakaokernbruch wird zunächst grob und dann fein gemahlen. Für Jorge Salazar Garcia ist Mahlen noch Muskeltraining: Zunächst setzt er sich auf ein Fahrrad, das ein ehemaliges Handmahlwerk antreibt, danach malt er per Handkurbel in einer weiteren Mühle fein. Die Industrie setzt auf ein Mahlwerk mit kleinen Metallkügelchen, das das Zellgewebe der Kakaokerne aufreißt. Die Reibungswärme, die dabei entsteht, lässt die Kakaobutter und damit gut die Hälfte des Mahlguts schmelzen. So entsteht ein leuchtend-brauner und intensiv schokoladig duftender Kakaobrei, der als Kakaomasse der Ausgangspunkt für alles ist, was aus Kakao hergestellt wird.
Der Kakaomasse die Butter abpressen
In Van Houtens Erfindung, der Kakaopresse, fließt unter großem Druck die Kakaobutter durch winzige Löcher heraus. Übrig bleibt der Kakaopresskuchen, der in einem weiteren Schritt pulverisiert wird. Das Kakaopulver kennen wir aus heutigen Kakaogetränken, -glasuren, von Schokokuchen, -pudding oder -eis. Die Kakaobutter, eines der wertvollsten Pflanzenfette, nutzten schon die Azteken für rituelle und heilende Zwecke und sie ist auch heute noch ein Rohstoff der Kosmetikindustrie. In der Schokoladenproduktion sorgt sie für den extra Schmelz.
Das Mischen macht’s – für alle Vorlieben etwas dabei
Doch einen Schritt zurück: Ausgangspunkt für die Herstellung von Schokolade ist die Kakaomasse, das Produkt des Mahlens. Aber erst durch das Mischen verschiedenster Zutaten in unterschiedlichsten Mengen entsteht die Fülle an Schokoladensorten: Schon die Kakaomasse schmeckt ja unterschiedlich, je nachdem, wie viel von welcher Kakaosorte verwendet wird. Für Milchschokolade wird der Kakaomasse Milch- oder Sahnepulver beigegeben, oft wird für die zartschmelzende Konsistenz zusätzlich Kakaobutter beigemengt. Je nach Rezeptur kommen Rüben-, Rohr-, unraffinierter Vollrohrzucker oder Zuckerersatzstoffe hinzu. Es gibt mittlerweile auch 100 % Kakaobohnen- Schokoladen komplett ohne jeglichen Süßstoff. Vanille oder andere Zutaten wie Zimt, Kardamom, Ingwer oder Chili runden je nach Rezeptur den Geschmack ab. Nüsse, Mandeln oder Kaffee werden als weitere Zutaten je nach Rezeptur zugegeben. Bei etwa 40 Grad vermischen sich alle Zutaten zu einer gleichförmigen Masse; noch fühlt sie sich auf der Zunge allerdings sandig an.
Walzen für die zarte Versuchung
Die Mischung muss also weiter verfeinert werden. Das übernimmt das Walzen. Die alten Azteken verwendeten einen Metate, einen vulkanischen oder Granitmahlstein aus einer dreibeinigen Reibfläche und einem walzenförmigen Pistill, wie ihn auch Familie Salazar Garcia benutzt. In der Industrie wird, wieder unter großem Druck und Lärm, aber niedriger Temperatur, die Mischung zwischen schweren Walzen erst vor- und dann fein gewalzt. Erst diese modernen Walzwerke können in größeren Mengen die Mischung so verfeinern, dass eine für alle erschwingliche, zarte Sensation auf der Zunge entsteht, die wir heute bei Schokolade so schätzen.
Conchieren – die Königsdisziplin für vollendeten Genuss
Rudolphe Lindts Erfindung sorgt noch heute für die Krönung der Schokolade und ihre geschmackliche Vollendung in der industriellen Produktion. Conchieren bedeutet, ob per Hand oder maschinell, die Schokoladenmasse meisterlich zu kneten und zu versalben. Dadurch entsteht wieder Reibungswärme, wieder schmilzt die Kakaobutter, die dann die nach dem Walzen winzigen Partikel der Schokoladenmasse, und je nach Rezeptur das Milchpulver, den Zucker und die weiteren Zutaten umhüllt. Der unvergleichliche Schmelz und das volle Aroma der Schokolade erreichen erst beim Conchieren Perfektion. Zum Schluss wird meist der Schokolade noch pflanzliches Lecithin hinzugegeben, damit die aufwendig in Kakaobutter gelösten Partikel nicht wieder verklumpen. Die Conchierzeit variiert übrigens je nach Rezeptur.
Temperieren ist mehr als Kühlen
Jetzt fehlt ja nur noch, die Schokolade einfach abzukühlen. Abkühlen ja, aber einfach: Nein! Die fertige Schokolade soll in einer besonderen Kristallstruktur erstarren, damit sie all die Eigenschaften behält, die wir an ihr so schätzen: den Schmelz, den Glanz und das appetitliche Knacken des Stückchen Schokolade. Das Abkühlen, daher auch Temperieren genannt, muss kontrolliert einer ganz bestimmten Temperaturkurve folgen: erst von 45 auf 28 runter, dann noch mal kurz auf knapp über 30 Grad rauf. Erst dann ist die Schokolade wirklich fertig und kann in Form gebracht werden.