Seit geraumer Zeit wird darüber diskutiert, ob Kakao nicht doch wieder verstärkt in komplexeren, waldnahen oder waldähnlichen Anbausystemen kultiviert werden sollte. Der Zauberbegriff heißt Agroforstwirtschaft – also einer Kombination von Land- und Waldwirtschaft. Es geht um den kombinierten Anbau von Agrarkulturen und Bäumen und Sträuchern auf einer Fläche. Der Vorteil ist, dass solche agrarischen Nutzpflanzen widerstandsfähiger gegenüber den Folgen des Klimawandels werden und die Flächen bzw. die einzelnen Kulturpflanzen weniger anfällig für Erkrankungen und Schädlinge – also widerstandsfähiger gegenüber Risiken von außen. Und die Bäuerinnen und Bauern sollen durch eine größere Vielfalt an Produkten weniger abhängig von nur einer Kulturpflanze sein und so ein besseres Auskommen erwirtschaften können. Mehr zu Kakao und Agroforst erfahrt ihr etwa in diesem Video.

Der immergrüne Kakaobaum (Theobroma Cacao) entstammt den tropischen Regenwaldgebieten an den Osthängen des Anden-Amazonas. Er kommt somit aus Südamerika (siehe Schokotorial Wo alles begann: Der Ursprung des Kakaos und seine Verbreitung). Als tropische Halbschattenpflanze mit besonderen Anforderungen an ausreichend Niederschlag und nicht zu viel Sonnenexposition gehört er zur Familie der Malvengewächse. Er wächst natürlicherweise unter dem Kronendach hoher und sehr hoher Regenwaldbäume, die bis zu 60 Meter in die Höhe ragen, und wird in aller Regel nicht größer als 10 bis 15 Meter – oft bleibt er deutlich kleiner (siehe Schokotorial Über den wunderbaren Kakaobaum). Natürlicherweise ist der Kakaobaum Teil komplexer Pflanzengemeinschaften, die aus 100 oder mehr Arten auf einem Hektar Land bestehen können. Kakao wird als Nutzpflanze bereits seit vielen Tausend Jahren kultiviert.

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Abb. 1: Theobroma Cacao

 

Wir haben mit Dr. Anja Gassner, der europäischen Direktorin von CIFOR-ICRAF (World Agroforestry), gesprochen und nachgefragt, welche Rolle agroforstwirtschaftliche Systeme beim Kakaoanbau spielen. Sie sagt: „Seit Kakao kultiviert wurde, erfolgte der Anbau zunächst als Schattenpflanze unter den Baumkronen einheimischer Bäume. In vielen Ländern jedoch führte über die Zeit die Verfügbarkeit von vollsonnigen Sorten in Verbindung mit dem Druck zur Produktionssteigerung dazu, dass diese Systeme schließlich ersetzt wurden.“ Die Erträge in sogenannten unbeschatteten Systemen können fünfmal höher sein als in beschatteten Systemen, aber sie benötigen auch viele Nährstoffe, was – wenn man nicht aufpasst – zur Erschöpfung der Böden führt. „Infolgedessen neigen die Kakaobauern dazu, bei der Anlage von Plantagen neue Felder zu erschließen, was häufig zur Abholzung von Wäldern führt“, so Dr. Gassner.

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Abb. 2: Europäische Direktorin CIFOR-ICRAF Dr. Anja Gassner

 

Agroforstsysteme hingegen sind kreislaufförmige Systeme, die einer Vielfalt von Nutzpflanzen und idealerweise auch heimischen Bäumen und Sträuchern in unterschiedlichen räumlichen Anordnungen und mit saisonalen Ausrichtungen Raum geben – und die überdies attraktiv für viele nützliche Tiere sein können. Agroforstsysteme ahmen die natürlichen Prozesse des Wasser- und Nährstoffflusses nach, wobei in der Regel weniger synthetische Hilfsmittel wie Dünger oder Pflanzenschutzmittel benötigt werden. „Agroforstsysteme sind wie keine andere Landnutzung in der Lage, mehrere Güter und Dienstleistungen gleichzeitig bereitzustellen – sie stellen quasi eine integrierte Landwirtschaft dar“, so die Agrarwissenschaftlerin, die für das angewandte Forschungsinstitut CIFOR-ICRAF arbeitet, das sich seit mehr als 45 Jahren um nachhaltige Landnutzungssysteme in Afrika, Asien und Lateinamerika kümmert.

Aufgrund seiner Schattentoleranz ist Kakao eine der Kulturpflanzen, die sich sehr gut für Agroforstsysteme eignen, insbesondere für Bauernfamilien, die diversifizierte Einkommensströme der Abhängigkeit von einer einzigen „Kultur“ vorziehen. Dr. Anja Gassner hebt heraus, dass sich auch immer mehr Schokoladenhersteller für die Agroforstwirtschaft interessieren, da der Klimawandel die Pflanzungen in vielen traditionellen Kakaoanbaugebieten zu beeinträchtigen beginnt. Kakaopflanzen reagieren sehr empfindlich auf Klimaschwankungen, insbesondere auf Temperaturschwankungen, aber auch auf Veränderungen der Niederschlagsmenge und der Anzahl der Sonnenstunden. Auch die durch die Ausweitung des Kakaoanbaus verursachte Entwaldung gibt Anlass zur Sorge, so die Expertin.

Es gibt nicht das eine Agroforstsystem im Kakaoanbau – aber es gibt große Übereinstimmungen

Agroforstsysteme für Kakao sind Multistrata-Systeme. Multistrata steht hier für mehrere Schichten. Bei diesem Konzept wird der Kakao im Unterholz des Kronendachs und der aufsteigenden Schichten angebaut. In einem gut geführten System können auch Bodendecker wie Futterleguminosen und Gräser unter dem Kakao angebaut werden. Das Grundprinzip für die Bewirtschaftung von Multistrata-Systemen besteht darin, die Artenzusammensetzung sowie die räumliche und zeitliche Struktur so zu beeinflussen, dass die richtige Menge an Schatten zur richtigen Zeit für die Pflanzen im System bereitgestellt wird. Dies erfordert eine genaue Kenntnis der Phänologie der einzelnen Arten. Das heißt, man muss den saisonalen Jahresverlauf mit den korrespondierenden Zyklen der Pflanzen sehr genau kennen und verstehen: also etwa den Zeitpunkt des Blattverlusts, der Produktion neuer Blätter und Triebe, der Blüte und der Fruchtbildung.

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Abb. 3: Multistrata-System

 

Wir wollen wissen, ob es ein einheitliches oder gar einzig richtiges Agroforstsystem für Kakao gibt.  Dr. Gassner erklärt: „Auch wenn die tatsächliche Artenzusammensetzung von Ort zu Ort unterschiedlich ist, sollten drei Grundsätze der agroforstlichen Gestaltung stets beachtet werden: Erstens, der Grundsatz, Bäuerinnen und Bauern in den Mittelpunkt aller Überlegungen zu rücken:  Bei der Gestaltung von Agroforstprojekten und -programmen sollten die Ziele und Wünsche der Bauernfamilien an erster Stelle stehen, bevor überlegt wird, wie andere weitergehende Ziele erreicht werden können. Zweitens, das Prinzip der Anpassung an Ort, Menschen und Zweck: Bei der Gestaltung von Agroforstprojekten und -programmen ist zu beachten, dass es nicht DIE Einheitsgröße gibt, die auf alle Orte anwendbar ist. Alle Agroforstsysteme müssen an die örtlichen Gegebenheiten individuell angepasst werden. Und drittens, das Prinzip der Synergien: Bei der Gestaltung von Agroforstprojekten und -programmen sollte das volle Potenzial der Agroforstwirtschaft ausgeschöpft werden, indem sichergestellt wird, dass Bäume, Nutzpflanzen und Nutztiere in einer Weise zusammenwirken, die für beide Seiten vorteilhaft ist und mehrere Ökosystemleistungen erhält.“ Insbesondere dem ersten Grundsatz komme eine erhebliche Bedeutung zu.

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Abb. 4: Multistrata-System im Kakaobaum

 

Es gibt einige allgemeine Richtlinien, die speziell für Kakao-Schattensysteme gelten. Um sicherzustellen, dass die Schattierung des Systems die Nutzung von Licht, Wasser, Nährstoffen und Platz optimiert, können Experten vor Ort ein einfaches, dreistufiges Verfahren anwenden:

  1. Beurteilung der Sonneneinstrahlung auf das System zu verschiedenen Tageszeiten. Selbst auf ein und demselben Betrieb können verschiedene Bereiche je nach ihrer Lage in der Landschaft sehr unterschiedliche Mengen an Sonnenlicht erhalten.
  2. Überprüfung der Flächen zu verschiedenen Tageszeiten. Die variierende Lichteinstrahlung auf den Boden über den Tag hinweg sollte beobachtet werden. So kann man feststellen, ob die Anlage zu dicht ist und ob sie ausgelichtet oder beschnitten werden muss.
  3. Dialog mit dem Landwirt über die mögliche Produktivität vor Ort. Wie fruchtbar ist der Boden? Kann er es sich leisten, zusätzlichen Dünger zu kaufen und auszubringen? Auf der Grundlage der verfügbaren Sonnenstunden muss ein optimales Beschattungssystem festgelegt werden, um ein erfolgreiches Produktivitätsniveau zu erreichen.

Das alles ist keine leichte Aufgabe.

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Abb. 5:  Agroforstsystem mit Kakaobäumen unter Palmen

 

Agroforstsysteme sollten stets speziell auf die Bedürfnisse der Kakaoanbau-gemeinschaften und die Herausforderungen des örtlichen Kakaoanbaus zugeschnitten werden. „Das kann nicht oft genug betont werden. Bei der Gestaltung von Agroforstprojekten und -programmen sollten die Ziele und Wünsche der Bauernfamilien an erster Stelle stehen, bevor man sich Gedanken darüber macht, wie man andere weiter gefasste Ziele erreichen kann“, so Dr. Anja Gassner. Sie betont zudem: „Landwirte haben seit Tausenden von Jahren agroforstliche Systeme entwickelt. Sie sind die Nutzer und Verwalter des Landes und verfügen oft über ein umfassendes Wissen über die Pflanzen, Tiere, den Boden, das Wetter und die Wechselwirkungen zwischen ihnen. Wir verwenden den Begriff „Co-Design“, um den Prozess zu beschreiben, bei dem wissenschaftliches und technisches Fachwissen mit diesem lokalen Wissen zusammengebracht wird.“ Dies ist ein wichtiger Schritt, um agroforstliche Landnutzungssysteme zu schaffen, die optimale Ergebnisse liefern. Die Rolle von externen Agroforst-Experten besteht darin, den Landwirten zuzuhören und von ihnen zu lernen, ihr Fachwissen weiterzugeben, einschließlich der Erfahrungen, die sie bei der Arbeit in anderen Regionen oder Ländern gesammelt haben, und den gesamten Gestaltungsprozess zu erleichtern.

Bei der Mitgestaltung von Agroforstsystemen werden vor allem die folgenden Kenntnisse benötigt:

  1. Wissen über die Bedürfnisse, Hoffnungen und Fähigkeiten der Bauern und ihrer Familien
  2. Wissen über die Rentabilität der verschiedenen Agroforstprodukte
  3. Wissen über die lokalen Bedingungen, die die Rentabilität oder Durchführbarkeit solcher Produkte beeinflussen könnten
  4. Kenntnisse über die verschiedenen agroforstlichen Systeme, in denen die ausgewählten Produkte angebaut werden können.

Da kein Experte und keine Gruppe über alle notwendigen Detailinformationen verfügen, ist Dialog auf Augenhöhe wichtig. Die erforderlichen Informationen sollten folglich mit Hilfe partizipativer Verfahren gesammelt werden. Ein formaler Ansatz des partizipativen Lernens und Handelns kann angemessen sein, aber die unterstützenden Organisationen sollten Ansätze wählen, mit denen sie vertraut sind und die sie umsetzen können.

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Abb. 6: Dialog mit Kakao-Farmern

 

Prognosen für die Zukunft von Agroforstsysteme im Hinblick auf den Kakaoanbau und klimafreundliche Lösungen

Dr. Anja Gassner betont, dass Niederschläge den wichtigsten Umweltfaktor darstellen, der die Kakaoerträge beeinflusst. Eine durchschnittliche Niederschlagsmenge von 1400 bis 2000 mm pro Jahr reicht aus, um das Wachstum der Kakaobäume zu fördern, und weniger als 1200 mm pro Jahr führen zu Wasserdefiziten im Boden und zu geringerem Wachstum und Ertrag.  Die jahreszeitliche Verteilung der Niederschläge ist jedoch oft wichtiger als die jährliche Gesamtmenge, und verschiedene Bodentypen haben unterschiedliche Wasserrückhalteeigenschaften, die die Empfindlichkeit der Kakaobäume gegenüber Bodenwasserdefiziten verändern. Längere Trockenperioden können erhebliche negative Auswirkungen auf Wachstum und Ertrag der Bäume haben. Aber auch zu viel Niederschlag, etwa während der Blütezeit, kann verheerende Konsequenzen nach sich ziehen. Wenn es in dieser sensiblen Phase zu früh, zu viel und zu lange regnet, verlieren die Kakaobäume ihre Blüten in großem Umfang und es können erst gar keine oder viel zu wenige Früchte entstehen. Dem 6. IPPC-Bericht zufolge (also dem letzten Bericht des Weltklimarats) werden die Niederschläge in Westafrika voraussichtlich im Westen abnehmen und im Osten zunehmen. Für die westliche Sahelzone wird eine Verkürzung der Regenzeit prognostiziert, da die Niederschläge bei einer globalen Erwärmung von 1,5°C und 2°C um 4 bis 6 Tage später einsetzen.

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Abb. 7: Weniger klimabedingte Produktionsrisiken unter dem Kronendach hoher und sehr hoher Regenwaldbäume

 

„Daher sind wir überzeugt davon, dass kakaobasierte Agroforstsysteme aufgrund der negativen Auswirkungen des Klimawandels die Zukunft des Kakaoanbaus in Côte d’Ivoire und Ghana sind“, stellt Dr. Gassner fest. In der Tat integrieren Kakaobauern, die früher vor allem in Monokulturen anbauten, zunehmend Bäume in ihre Parzellen, da die Produktion von Monokulturen nach durchschnittlich zehn Jahren ohnehin zurückgeht.

Obwohl die Faktenlage eindeutig ist, dass Schattenbäume die klimabedingten Produktionsrisiken mindern können, indem sie die Auswirkungen von Dürren und Hitzewellen auf die Kakaopflanzen verringern, wurde die überwältigende Mehrheit der genetischen Kakaoversuche zu Erträgen, Resistenz gegen Schädlinge und Krankheiten sowie zur Reaktion auf Düngemittel ausschließlich in voller Sonne und ohne jegliche Schattenbehandlung durchgeführt. Es besteht ein deutlicher Mangel an verlässlichen Versuchsdaten, um Landwirte und Produzenten zu beraten, welche die produktivsten  Kakao-Agroforstsysteme für verschiedene Regionen sind. „Da müssen wir gemeinsam dringend nachlegen“, so Dr. Gassner.

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Abb. 8: Gute Agroforstsysteme sorgen idealerweise für gesunde Kakaobäume und können so zu besseren Erträgen führen